Lieferketten, die Biodiversität schützen

Unser Naturkapital ist essenziell sowohl für das menschliche Wohlergehen als auch für die wirtschaftlichen Aktivitäten. Viele Unternehmen sind auf funktionierende Ökosysteme und ihre Leistungen angewiesen. Auch Ökosystemleistungen, die im Ausland bereitgestellt werden, kommen den Menschen in Deutschland zugute. Unternehmen erfüllen Sorgfaltspflichten, die auf den Schutz der Biodiversität abzielen, oft nur ungenügend. Die Landnutzung, die Gewinnung von Rohstoffen, die Produktion, aber auch die nachgelagerte Lieferkette sind oft nicht nachhaltig. Ökosysteme werden über ihre Kapazitäten belastet oder sogar zerstört. Das führt zum Verlust von Biodiversität und vieler wertvollen Ökosystemleistungen, die ihrerseits grundlegend für das Bestehen der Lieferketten selbst sind. Dabei tragen Unternehmen eine Mitverantwortung für den Schutz der Natur und ihre nachhaltige Nutzung.

Von Ulrich Stöcker, Deutsche Umwelthilfe (DUH)

In unserer Veranstaltung am 9. Dezember 2021 gingen wir mit Expert:innen aus Politik, privatem Sektor, Wissenschaft und Gesellschaft folgenden Fragen auf den Grund und leiteten gemeinsam Empfehlungen ab:

  • Wie kann der Wert der Biodiversität und ihrer Ökosystemleistungen stärker in das Lieferkettenmanagement der Unternehmen integriert werden?
  • Wie könnte der rechtliche Rahmen aussehen, der Lieferketten frei von Entwaldung und der Umwandlung von wertvollen Ökosystemen sicherstellt?
  • Welchen Beitrag können die derzeit geplanten EU-Initiativen für ein europäisches Lieferkettengesetz und einen Rechtsrahmen gegen importierte Entwaldung spielen?

Biodiversität in Lieferketten stärken – Beispiel Forstwirtschaft

Veronica Veneziano, Geschäftsführerin von Biodiversity in Good Company (BDGC), argumentierte am Beispiel der Forstwirtschaft, dass die Biodiversität ein Kernthema für die Wirtschaft sei. Diese sei von den Ökosystemleistungen und somit auch von der Biodiversität abhängig und habe gleichzeitig einen Einfluss auf sie, beispielsweise durch den Flächenbezug und den Abbau von Rohstoffen, aber auch entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten. Sie stellte das Biodiversitätsprogramm von UPM vor, weltweit eines der größten Forstbesitzer und Holzverwerter und Teil der BDGC-Initiative. UPM habe globale Ziele festgelegt, die durch länderspezifische Maßnahmen und lokale Aktionspläne umgesetzt würden. Diese unterstützen beispielsweise die Wiederherstellung einheimischer Baumarten und der Schutz von Flächen mit hohem Wert an Biodiversität. Deren Schutz sei wirtschaftlich sinnvoll, da Holz für UPM der wichtigste Rohstoff sei; der Verkauf von Nicht-Holz-Produkten und Naturmanagement-Dienstleistungen stelle für UPM lediglich eine zusätzliche Einkommensquelle dar. Außerdem erhöhe der Einsatz für die biologische Vielfalt generell die Reputation des Unternehmens. Das Problembewusstsein und die Handlungsbereitschaft der Wirtschaft habe zugenommen; das Thema der Nachhaltigkeit entlang der Lieferketten sei für viele Wirtschaftsakteure wichtig. Allerdings sei das Thema Biodiversität sehr komplex und es mangele an einheitlichen Indikatoren. Die verschiedenen politischen Entscheidungsprozesse könnten konkrete Handlungsoptionen für Unternehmen liefern, beispielsweise die Biodiversitätsstrategie der EU, die CBD COP 15, das Business Assessment des IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) sowie eine neue nationale Biodiversitätsstrategie.

Die Auswirkungen des globalen Agrarhandels auf Ökosysteme und Biodiversität

Dr. Thomas Kastner, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, sprach über die Auswirkungen des globalen und deutschen Agrarhandels auf Ökosysteme und Biodiversität. Die starke Zunahme des globalen Agrarhandels führe zu komplexeren Lieferketten, bei denen sich die Abhängigkeiten zwischen verschiedene Regionen vertiefen. Er zeigte auf, dass die gehandelten Mengen beispielsweise an Soja, Mais und Weizen (gemessen an Kalorien) durch Entwaldung für einen hohen Verlust von Wirbeltierarten verantwortlich sind. Das sei vor allem in tropischen Ländern problematisch. Die EU trage durch ihre Importe stark zur Entwaldung von Flächen bei. Dr. Kastner zeigte auch die Wirkungen der durchschnittlichen Ernährung in Deutschland auf die Biodiversität auf. Dabei sei vor allem der Konsum tierischer Produkte wie Fleisch für hohe Kosten verantwortlich. Auch Fleischersatzprodukte wie Hülsenfrüchte und Nüsse sollten kritisch auf Biodiversitätsverlust hin untersucht werden. Das Thema Biodiversität sei komplex und mehrdimensional; dementsprechend sei es schwierig, es in Indikatoren zu fassen. Dennoch seien solche notwendig, die konsistent auf einzelne Produkte und Lieferketten herunter gebrochen werden können. Sehr wichtig seien außerdem die Kommunizierbarkeit der Indikatoren und der wissenschaftlichen Ergebnisse. Das Thema komme zusehends auf politische Agenden, beispielsweise durch Lieferkettengesetze. Eine Herausforderung dabei seien die potentiellen Verlagerungseffekte und die Frage der Verteilungsgerechtigkeit.

Importierte Zerstörung von Ökosystemen – welchen Beitrag können die EU-Initiativen für nachhaltigere Lieferketten leisten?

Tina Lutz, Deutsche Umwelthilfe, ging der Frage nach, welchen Beitrag die EU-Initiativen gegen Entwaldung und zum EU-Lieferkettengesetz auf den Schutz von Biodiversität in den Lieferketten haben könnten. Bis heute existierten fast keine verbindlichen Regeln gegen Zerstörung von Ökosystemen in den EU-Lieferketten, d. h. den Lieferketten von Konsumartikeln, die in die EU kommen oder in der EU produziert werden und dort konsumiert werden, sowie den Lieferketten von Unternehmen, die in der EU produzieren. Eine Ausnahme stelle die EU-Holzhandelsverordnung dar, die darauf abzielt, das Inverkehrbringen von Holz und Holzprodukte aus illegaler Holzernte zu verhindern. Das deutsche Lieferkettengesetz berücksichtige die Biodiversität nur minimal. Um den Schutz von Ökosystemen in den Lieferketten in der EU-Gesetzgebung zu gewährleisten, würden zum einen unabhängige Umweltsorgfaltspflichten auf der Basis umfassender Umweltstandards unter Einbeziehung des Klima- und Biodiversitätsschutzes für die gesamte Wertschöpfungskette notwendig, zum anderen verbindliche Regelungen, die die Zerstörung und Degradierung natürlicher Ökosysteme (Wälder, Savannen, Feuchtgebiete etc.) für Importprodukte in die EU und Produkte, die auf den EU-Markt gebraucht werden, wirksam eindämmen. Dies soll nach Aussagen der EU-Kommission zum einen über die geplante EU-Verordnung gegen Entwaldung und zum anderen das EU-Lieferkettengesetz (LKG) geschehen. Erstere will sowohl Marktzugangsbeschränkungen für Produkte aus legaler und illegaler Entwaldung sowie Walddegradierung als auch produktbezogene Sorgfaltspflichten festschreiben. Das EU-LKG soll solche sektorübergreifend (also nicht produktspezifisch) in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt festschreiben. Für die VO gegen Entwaldung liegt bereits ein Entwurf der EU-Kommission vom 17.11.2021 vor. Der Entwurf für das EU-LKG wurde hingegen schon mehrfach verschoben.

Regelungsinstrumente für mehr Biodiversitätsschutz in der Lieferkette: Status Quo und Handlungsoptionen

Dr. Elisabeth Henn, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, sprach über die Regelungsinstrumente für den Schutz der Biodiversität in Lieferketten. Als direkte und indirekte Treiber des Verlustes der Biodiversität nannte sie Landnutzungsänderungen, Klimawandel, Verschmutzung, invasive Arten und Übernutzung. So seien Gegenmaßnahmen unter anderem die Reduktion von Material-, Nährstoff-, Biozid-, Plastik- und Flächenverbrauch, der Abbau schädlicher Subventionen und die Wiederherstellung von Ökosystemen. Das Recht biete verschiedene Steuerungsinstrumente und damit Möglichkeiten, diesen Verlust zu beenden. Für die Evaluierung der Regelungen müsse man sich fragen, inwieweit die Treiber des Verlusts auch jenseits der Grenze adressiert und ob die Grenzen der Biosphäre berücksichtigt werden. Im Inland könne die Biodiversität durch die Ausweisung von Schutzgebieten, durch markt-basierte Instrumente sowie durch Ordnungs- und Planungsrecht geschützt werden. Für den Schutz der Biodiversität im Ausland könne man beispielsweise Sorgfaltspflichten, Marktzugangsregelungen, eine finanzielle Förderung, Zertifizierung, ein Benchmarking und Nachhaltigkeitskriterien nutzen. Durch die umweltbezogenen Lieferkettensorgfaltspflichten könne das deutsche Lieferkettengesetz durchaus Potential für den Schutz der Biodiversität haben. Eine weitere Regelungsoption sei die Diskriminierung durch eine Lieferkettenregulierung.

Fairstainability bei einhorn – Was hat das mit Biodiversität zu tun?

Linda Preil, einhorn, stellte den Fairstainability-Ansatz der Kondommarke einhorn, auch Mitglied bei ‚Biodiversity in Good Company‘, vor. Dabei sei der Schutz der Biodiversität ein zentrales Thema. Dieser Ansatz verfolge den Anspruch, von Anfang an mit großem Einsatz nachhaltige Lieferketten aufzubauen. Der Hauptrohstoff Naturkautschuk-Latex sei von Plantagen in Thailand gewonnen, deren Bewirtschaftung eine möglichst hohe Biodiversität durch Agroforstplantagen anstatt Monokulturen sichere. Dazu gebe es umfangreiche lokale Kooperationen mit den Landwirt:innen vor Ort, aber auch mit wissenschaftlichen Partnern. Unternehmen wie einhorn seien gern Botschafter für den Erhalt der Biodiversität, könnten einen Einfluss auf die Politik haben und zeigen, wie auch kleine Unternehmen konsequent Verantwortung für ihre Lieferkette übernehmen können.

Diskussion

Kautschuk ist, obwohl er ein starker Entwaldungstreiber ist, in der geplanten EU-Verordnung gegen Entwaldung bisher nicht in der Liste der sog. entwaldungskritischen Agrarprodukte enthalten. Thomas Kastner verwies darauf, dass fehlerhafte Zahlen Empfehlungen zum Ausschluss bestimmter Rohstoffe von den EU-Rechtsvorschriften zur Entwaldung untermauerten, siehe seine Stellungnahme.

Linda Preil verwies darauf, dass auch die EU-KOM dabei Zahlen falsch interpretiert habe.

Diskutiert wurden sodann die Auswirkungen des direkten (etwa durch den Verkehr von Soja) und indirekten (durch Soja im Tierfutter) Hülsenfrüchtekonsum auf die Biodiversität, dieser Einfluss sei abhängig vom Ort und der Art und der Produktionsweise. Bei Leguminosen sollte aber stark zwischen einheimischer Produktion und Importen aus Drittstaaten unterschieden werden, denn in D seien Leguminosen sehr wertvoll in der Fruchtfolge, etwa zur Stockstoff-Fixierung.

Näher betrachtet werden sollten das Problem der öffentlichen Hand als Auftraggeber und das der Durchsetzungsdefizite der Regelungen, die zudem oft nicht bis zum Ursprung der Lieferkette reichen. Ein substantielles Biodiversitätsmonitoring sei aber essenziell. Fraglich sein, wie § 2 Abs. 2 Nr. 9 LkSG angewendet werden könne, da jede Form von Land-, Forst, Mineralien-Wirtschaft die natürlichen Grundlagen zum Erhalt und zur Produktion von Nahrung graduell immer beeinträchtige. Zu klären sei daher, wie die Sorgfaltspflichten qualifizierbar wären.

Konsens bestand dahingehend, dass die kommenden Verhandlungsrunden viel Potential für zentrale Elemente des Schutzes der Biodiversität und für die Festlegung messbarer und operationalisierbaren Indikatoren haben. Inwieweit sich die globalen Biodiversitäts-Ziele und -Indikatoren der CBD (etwa mit einer weichen Grenzensetzung, z. B. dem Ziel der „Land Use Neutrality“ bis 2050, oder auch die planetaren Grenzen sich ausreichend als (völkerrechtliche) Grundlage für eine EU-Regelung zu Lieferketten, die auf das Verhalten einzelner Unternehmen abzielt, tatsächlich eignen, werde man nach der COP 15 der CBD in Kunming sehen; alles Weitere bedürfe genauerer Prüfung.

Bei Abkommen wie Mercosur wird die Notwendigkeit überprüfbarer und sanktionierbarer Standards deutlich, da dort der Handel mit entwaldungskritischen Rohstoffen gefördert wird, ohne die Sanktionierbarkeit und Durchsetzung von Standards festzuschreiben.

Zu invasiven Arten gibt es eine EU-Verordnung, deren Erlass ein Schwerpunkt der letzten EU-Biodiversitätstrategie für 2020 war, die viel Bewusstsein geschaffen habe, aber noch mehr Energie für ihre Umsetzung brauche

Über dieses Projekt

Natur ist unser Kapital ist eine Kampagne, um den Wert unseres Kapitals Natur anhand der Aufbereitung von Fallbeispielen aus Wissenschaft und Praxis sichtbar zu machen. Intakte und funktionsfähige Ökosysteme und ihre Leistungen bilden die Existenzgrundlage unseres Lebens. Dennoch wird der Wert dieses Kapitals nicht ausreichend in öffentlichen und privaten Entscheidungen berücksichtigt.

Unsere Art und Weise des Wirtschaftens und Konsumierens führt zu einer Überlastung der Natur. Das beeinträchtigt die Bereitstellung viele ihrer Leistungen und bedroht unsere Gesundheit, Lebensqualität und unser Wohlbefinden. Die Natur ist aus ökonomischer Sicht ein notwendiger Kapitalbestand, den wir erhalten und wiederherstellen müssen.

Nicht die Natur braucht uns, sondern wir brauchen die Natur und ihre Leistungen!

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