Ökonomisierung der Natur?

Den Naturschutz und die Erhaltung der biologischen Vielfalt vermehrt unter einer ökonomischen Sichtweise zu betrachten wird zum Teil heftig kritisiert. In diesem Beitrag werden die Hauptargumente der Kritiker dargestellt und einer Einschätzung unterzogen.

Von Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Leiter Department Ökonomie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ

Ökonomische Sichtweise im Naturschutz – Kritik und Gegenkritik

Die Grundlage für eine Bezugnahme auf ökonomische Ansätze in den Bereichen Naturschutz und Biodiversität bildete das Konzept der Ökosystemleistungen, das eine zentrale Schnittstelle zur ökonomischen Betrachtung von Natur und biologischer Vielfalt bietet. Es zielt darauf ab, sich der vielfältigen Leistungen der Natur für den Menschen bewusst zu werden und sie zu systematisieren. Das Erkennen und Aufzeigen der Bedeutung und des Wertes dieses Naturkapitals für Mensch und Gesellschaft sollen helfen, gesellschaftliche Entscheidungen zu korrigieren, die die Natur und ihre Ökosystemleistungen oft unzureichend berücksichtigen.

Die Einschätzungen zur Rolle dieses Ansatzes sind durchaus unterschiedlich. Einerseits wird eine große Chance gesehen, um die Belange des Natur- und Umweltschutzes zu befördern und mehr Finanzmittel für den Naturschutz zu erlangen. Auf der anderen Seite bestehen Vorbehalte gegenüber dem Ansatz, weil eine einseitige „Ökonomisierung“ befürchtet wird, die zu einem „Ausverkauf“ der Natur führt.

Vorbehalte gegen die ökonomische Sichtweise im Naturschutz

Es wird an der ökonomischen Bewertung kritisiert, dass sie ethisch nicht vertretbar und technisch nicht durchführbar sei und zudem im politischen Prozess zu inakzeptablen Ergebnissen führe.  Zum Teil sind die Einwände gegen den ökonomischen Bewertungsansatz berechtigt. So bestehen grundsätzlich Grenzen einer ökonomischen Bewertung, wenn nicht marginale Veränderungen der Natur bewertet werden sollen. Das Verschwinden von ganzen Ökosystemen oder das Erreichen von „Umkippeffekten“ („tipping points“) kann als eine nicht marginale Veränderung angesehen werden, die eine ökonomische Bewertung verbietet. Auch die begrenzte Substituierbarkeit von Umweltgütern oder die Irreversibilität ihrer Schädigung kann als eine solche Grenze angesehen werden. Es wird auch von einer „Kommodifizierung“ der Natur gesprochen. Inhaltlich fallen dabei insbesondere die folgenden vier Argumentationsmuster in den Blick:

  1. Die ökonomische Sicht erfasse nur einen Ausschnitt der Werte der Natur. Werte seien vielmehr vielfältig und durch Inkommensurabilität gekennzeichnet.
  2. Die ökonomische Sicht wird mit der Monetarisierung der Natur gleichgesetzt.
  3. Die ökonomische Sicht wird mit der Einführung marktbasierter Instrumente gleichgesetzt. Mit derartigen Instrumenten sollen sowohl die chronischen Finanzierungsmängel und -engpässe im Naturschutz überwunden, als auch gleichzeitig Anreize für einen schonenderen Umgang mit der Natur erreicht werden.
  4. Damit einhergehend würden Naturschutzaufgaben der öffentlichen Entscheidung entzogen und dem privaten Bereich überantwortet.

Im Folgenden werden einige Einschätzungen zu diesen Kritikpunkten gegeben, wobei nicht die gesamte Diskussion und alle Facetten des Problems aufgerollt werden können.

Welche Werte der Natur erfasst die Ökonomie?

Für das Verständnis der ökonomischen Denkweise ist zentral, dass die Ökonomie davon ausgeht, dass nur das einen Wert besitzt, was dem Menschen in irgendeiner Form etwas nützt. Die Natur hat somit einen instrumentellen Wert („nature as a means“), nicht einen Wert an sich („nature as an ends“). Die Bezugnahme auf die Selbstwerte der Natur werden auch als bio- oder ökozentrische Sicht bezeichnet. Der ökonomische Wert ist somit ein anthropozentrischer und utilitaristischer. Das ist zunächst richtig: die Ökonomie kann andere Werte der Natur, die z.B. die „Mutter Erde“ als Teil der Schöpfung ansehen und ihr einen eigenen Wert beimessen, nicht erfassen. Nicht berücksichtigt sind darüber hinaus aber auch „soziale“ (auch: „gesellschaftliche“, „gemeinschaftliche“ oder „geteilte“) Werte, sofern sie nicht aus der Aggregation individueller Werte, die sich aus erfassten individuellen Zahlungsbereitschaften ergeben, resultieren.

Basis für die Erfassung von umweltbezogenen Werten ist nach ökonomischem Verständnis vielmehr das Konzept des „Ökonomischen Gesamtwertes“ („total economic value“). Hierbei handelt es sich um den Versuch, alle Arten von Nutzen der Natur und ihrer Leistungen für den Menschen zu erfassen und mit Werten zu belegen. Dabei werden nutzungsabhängige und nicht-nutzungsabhängige Werte unterschieden. Ganz wesentlich befördert dieses Konzept den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Natur, indem es z.B. Regulierungsleistungen oder kulturelle Ökosystemleistungen aufzeigt. Die Schönheit der Natur oder das Erlebnis eines Spaziergangs werden so im ökonomischen Ansatz erfasst.

Ökonomische Bewertung ist mehr als reine Monetarisierung

Wichtiger als die Monetarisierung ist vielmehr der durch ökonomische Bewertungen angestoßene systematische Prozess der Erfassung, der darauf abzielt, alle Vorteile (Nutzen) und alle Nachteile (Kosten) aller von einer Umweltveränderung Betroffenen in den Blick zu nehmen. Ökonomische Bewertung ist daher mehr als reine Monetarisierung. Hinzu kommt: Ökonomie ist mehr als nur ökonomische Bewertung. Die (Umwelt-)Ökonomie dürfte ihre besonderen Stärken als Wissenschaft nicht primär in der Bewertung von Umweltveränderungen haben, sondern in der Analyse von Entscheidungen unter Knappheitsbedingungen. Sie ist in der Lage und zielt darauf ab, Hinweise für die effektive und effiziente Ausgestaltung von Institutionen (Induzierung gewünschten Verhaltens, Anreizkompatibilität, Institutionendesign, etc.) zu geben. Sie ist daher gut bei der Analyse von Zielkonflikten (Trade-offs), der Analyse von umweltpolitischen Entscheidungen und Anreizkonstellationen sowie der Entwicklung und Ausgestaltung von Instrumenten und institutionellen Regelungen. Dies wird oft übersehen, wenn die Monetarisierung von Umweltveränderungen als „Kerngeschäft“ der Ökonomik bezeichnet wird.

Ökonomische Bewertung der Natur

Wie stehen nun umweltökonomische Bewertung und Marktinstrumente zueinander? Führt eine ökonomische Bewertung – automatisch – zur Etablierung von Märkten in den Bereichen Naturschutz und Biodiversität? Um den Zusammenhang klarer zu machen, wird an den Charakter externer Effekte erinnert, wie er insbesondere durch William Baumol und Wallace Oates im Unterschied zur Neoklassik verdeutlicht wurde. Entscheidend ist danach, dass die Erfassung und Bemessung externer Effekte letztlich ein unlösbares Informationsproblem darstellt. Damit ein gesellschaftliches Optimum erreicht wird, sind dem Verursacher der Externalitäten die sozialen Zusatzkosten (im Falle negativer externer Effekte) oder sozialen Zusatznutzen (im Falle positiver externer Effekte) so zuzuordnen, dass er seine ökonomischen Aktivitäten genauso anpasst, dass das gesamtgesellschaftliche Optimum erreicht wird.

Dies stellt die Umweltpolitik vor folgende Probleme:

  1. Es muss eine exakte Messung externer Effekte, d.h. der Nutzeneinbußen der Betroffenen, erfolgen, dazu müssen die Präferenzen der Bürger und die Kosten der Unternehmen bekannt sein;
  2. Es muss der Schadensbeitrag des einzelnen Verursachers im Optimum identifiziert werden, also das Ausmaß, mit dem er zum Gesamtschaden beiträgt;
  3. dem einzelnen Umweltnutzer müssen die von ihm verursachten sozialen Kosten exakt angelastet werden, ihm muss ein „richtiger“ Anreiz gegeben werden, damit er seine Aktivitäten reduziert;
  4. sein Verhalten und das Verhalten aller anderen Verursacher müssen den gesetzten Anreizen in genau dem Maße folgen, dass ein gesamtgesellschaftliches Optimum erreicht wird.

Dieses Informationsproblem ist so umfassend, dass eine (vollständige) Internalisierung externer Effekte schlicht unmöglich ist. Die staatliche Zentrale kennt die erforderlichen, nur lokal verfügbaren Informationen nicht, insbesondere nicht die Präferenzen der Bürger und die Kostenfunktionen der Konsumenten und Unternehmer. Dabei spielt eine besondere Rolle, dass die Kosten ja immer subjektiv, also allein dem jeweiligen Wirtschaftssubjekt einsichtig sind. Und nicht einmal die einzelnen Wirtschaftssubjekte sind über das Ausmaß der von ihnen verursachten Externalitäten informiert, weil sie deren Umfang, Drittwirkungen, Fernwirkungen, gesamtgesellschaftliche Effekte usw. nicht kennen können.

Baumol und Oates haben für die Umweltpolitik vor diesem Hintergrund Abstand vom Konzept der Internalisierung externer Effekte genommen und eine Orientierung am Standard- Preis-Ansatz gefordert. Für die Gestaltung umweltpolitischer Instrumente muss somit auf eine Bewertung der Umweltschäden verzichtet werden, und es kommt allein auf Kosteneffizienz bei der Erreichung eines vorgegebenen Umweltziels an. Dieser Schritt zeigt bereits, dass eine Gestaltung von marktorientierten Instrumenten keinesfalls einer Definition, Erfassung und ökonomischen Bewertung von Natur- und Umweltveränderungen bedarf. Dabei ist die Frage, welches Instrument für den Umwelt- und Naturschutz einzusetzen ist, eine Frage von Effektivitäts-, Effizienz-, Praktikabilitäts- und Durchsetzungsaspekten.

Naturschutz: private oder staatliche Aufgabe?

Ökonomische Bewertung leistet auch nicht „blinden“ Marktkräften Vorschub, die auf eine „Ökonomisierung und Finanzialisierung“ von Naturressourcen abzielen. Im Gegenteil: Es ist vielmehr gerade das Anliegen ökonomischer Analysen, den Charakter von Naturgütern als öffentliche Güter sichtbarer zu machen. Fragt man nach den Ursachen des Verlustes an biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen, so besteht aus ökonomischer Sicht der Grund darin, dass die Leistungen der Natur derzeit größtenteils kostenlos genutzt werden können. Dagegen gehen die meisten anderen Güter und Dienstleistungen, wie etwa Industrie- und Konsumprodukte oder Arbeitskraft, mit einem Preis in wirtschaftliche Entscheidungen ein.

Kostenlose Naturgüter und –leistungen werden aber weder von Produzenten noch von Konsumenten in angemessener Weise wahrgenommen, vielmehr gelten sie weiten Teilen der Bevölkerung als selbstverständlich verfügbar. Im Ergebnis verhalten sich einzelne Individuen als Trittbrettfahrer: Sie nehmen die Natur und ihre Leistungen umfassend in Anspruch, sind aber nicht bereit, bei ihren Entscheidungen die Erhaltung der Natur zu berücksichtigen und dafür Kosten aufzuwenden. Diesen Sachverhalt umschreiben Ökonomen mit dem Begriff der „öffentlichen Güter“, und die Natur hat in der Tat zum Teil den Charakter eines öffentlichen Gutes:

  • Die biologische Vielfalt und die Leistungen der Natur kommen uns in ganz unterschiedlicher Form zugute und sind breit gestreut. Oft fällt der Nutzen sogar global an. Dies macht es besonders schwer, den Wert dieser Leistungen zu erfassen.
  • Bestehende Märkte und Preise erfassen nur in Ausnahmefällen die Leistungen der Natur. Deshalb ist es auch sehr schwer oder gar unmöglich, Nutzer von Ökosystemleistungen zur Zahlung eines Preises heranzuziehen.

Selbst wenn Kosten und Nutzen von Natur richtig erfasst werden, wird es tendenziell zu wenig Naturschutz geben, denn die Kosten für Naturschutz fallen sofort an, während sich der Nutzen der Maßnahmen oft über lange Zeiträume erstreckt und mit Unsicherheiten verbunden ist. Dies führt zu einer Unterschätzung und unzureichenden Berücksichtigung des Nutzens von Naturschutz. Entscheidungsträger sind deshalb oft nicht bereit, die heute anfallenden Kosten zu tragen.

Öffentliche Güter bedürfen staatlichen Eingreifens – das ist ihr Wesenskern. Und dies rechtfertigt auch staatlichen Zwang: Wenn die Nachfrage einer Gemeinschaft nicht durch das dezentrale Angebot befriedigt wird, weil ein Ausschluss nicht zahlungswilliger Mitglieder der Gemeinschaft nicht möglich ist, kann staatlicher Zwang – und zwar aus dem wohlverstandenen Eigeninteresse der Mitglieder der Gemeinschaft – angezeigt sein, selbst wenn die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft hierdurch selbst dem Zwang unterworfen sind und Freiheitsgrade einbüßen. Der staatliche Zwang dient der Überwindung des Freifahrerverhaltens. Es ist daher vollkommen unverständlich, wenn diese Grundeinsicht der Ökonomik übersehen und eine „blinde“ Marktorientierung im Bereich des Natur- und Biodiversitätsschutzes unterstellt wird.

Fazit

Mit den dargelegten Überlegungen wurde versucht, die ökonomischen Begründungen für einen Schutz der Natur und ihrer Leistungen zu verdeutlichen und ihre Reichweite und Grenzen aufzuzeigen. Viele der an dieser ökonomischen Sicht geäußerten Kritikpunkte sind bei näherem Hinsehen nicht haltbar. Es muss allerdings auch anerkannt werden, dass mit den ökonomischen Argumenten nicht immer mit dem erforderlichen Augenmaß umgegangen wird, wenn eine Bewertung und Inwertsetzung der Natur gefordert wird. Und schließlich: Wenn von Kritikern des ökonomischen Ansatzes darauf hingewiesen wird, ökonomische Bewertung würde den „Geist“ der Inanspruchnahme von Natur beeinflussen – so jedenfalls der Tenor der Veröffentlichungen, so ist das sicher nicht ganz von der Hand zu weisen. Hier gilt: Ökonomie ist ein Mittel, ein Instrument, das für oder gegen den Naturschutz und den Verlust der biologischen Vielfalt verwendet werden kann. Mit den hier vertretenen Argumentationslinien soll sie zugunsten des Naturschutzes eingesetzt werden.

Über dieses Projekt

Natur ist unser Kapital ist eine Kampagne, um den Wert unseres Kapitals Natur anhand der Aufbereitung von Fallbeispielen aus Wissenschaft und Praxis sichtbar zu machen. Intakte und funktionsfähige Ökosysteme und ihre Leistungen bilden die Existenzgrundlage unseres Lebens. Dennoch wird der Wert dieses Kapitals nicht ausreichend in öffentlichen und privaten Entscheidungen berücksichtigt.

Unsere Art und Weise des Wirtschaftens und Konsumierens führt zu einer Überlastung der Natur. Das beeinträchtigt die Bereitstellung viele ihrer Leistungen und bedroht unsere Gesundheit, Lebensqualität und unser Wohlbefinden. Die Natur ist aus ökonomischer Sicht ein notwendiger Kapitalbestand, den wir erhalten und wiederherstellen müssen.

Nicht die Natur braucht uns, sondern wir brauchen die Natur und ihre Leistungen!

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