Sustainable Finance und Biodiversität: Wie kann das Finanzsystem zu einem Mehr an Artenvielfalt beitragen?

Steigt man dieser Tage mit dem Zug am Berliner Hauptbahnhof aus, läuft man fast zwangsläufig einer digitalen Litfaßsäule entgegen. Süße Erdmännchen sind zu sehen, und eine Frage fällt direkt ins Auge: „Weißt Du, was Biodiversity Credits sind?“

Wenn so ein abstraktes Thema es in die Werbung am Hauptbahnhof geschafft hat, könnte man meinen, das Thema sei im Finanzsystem angekommen, oder nicht?

Von Silke Stremlau, Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirates der Bundesregierung und Mercator Senior Fellow

Steigt man dieser Tage mit dem Zug am Berliner Hauptbahnhof aus, läuft man fast zwangsläufig einer digitalen Litfaßsäule entgegen. Süße Erdmännchen sind zu sehen, und eine Frage fällt direkt ins Auge: „Weißt Du, was Biodiversity Credits sind?“

Wenn so ein abstraktes Thema es in die Werbung am Hauptbahnhof geschafft hat, könnte man meinen, das Thema sei im Finanzsystem angekommen. Das ist leider ein Trugschluss. Während die Auswirkungen auf den Klimawandel mittlerweile bei vielen Investitionen gemessen und bewertet werden, besteht beim Thema biologische Vielfalt noch sehr viel Handlungsbedarf. Biodiversität ist zwar schon lange ein Analysekriterium von Unternehmen im Bereich der ESG-Ratings. ESG steht für Environment, Social, Governance (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). Es wurde aber bisher eher stiefmütterlich behandelt, da es gemeinhin schlechter zu messen ist als CO2 und somit lange im Schatten des großen Themas Erderhitzung stand. Der Klimawandel allerdings gefährdet die Biodiversität weltweit, und dies wiederum beschleunigt die globale Erwärmung – die zwei Seiten einer Medaille.

Erst in den letzten vier Jahren ist die Aufmerksamkeit für Biodiversität im Finanzsektor gewachsen. Dies ist sicherlich zum einen auf die zunehmende Verbreitung des Konzepts der Planetaren Grenzen zurückzuführen, zum anderen treten die wirtschaftlichen Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes mehr und mehr in den Fokus.

So wurde auf dem Weltwirtschaftsforum 2024 in Davos eine neue Studie der ETH Zürich vorgestellt, die besagt: „Biodiver­sität ist sowohl für das Klima als auch für die Wirtschaft wichtig, denn rund 60 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung sind moderat oder stark von der Natur abhängig.“ Folgt man Simon Zadek, einem der Vordenker von Biodiversität im Finanzsektor, sind es sogar 100 Prozent, da in einer nicht-intakten Umwelt keinerlei Wirtschaftsleben mehr möglich ist.

Gleichzeitig fließen einer Studie des UN Environment Programms nach zufolge jährlich 7 Billionen Dollar in Unternehmen, die die Klimakatastrophe befördern und die die Bodendegration vorantreiben. Dagegen stehen nur 200 Mrd. US-Dollar, die in naturbasierte Lösungen investiert werden. Und zur Bekämpfung des Artensterbens sind nach Schätzungen Investitionen bis zum Jahr 2030 über rund 700 Milliarden Dollar im Jahr notwendig.

Damit wird eins deutlich: Ohne das Finanzsystem kann eine Transformation hin zu einer naturpositiven Wirtschaftsweise nicht gelingen. Diese Aufgabe kann allerdings nicht nur von einer Institution gestemmt werden, sondern es bedarf eines Zusammenspiels von privaten und öffentlichen Akteuren, also von Unternehmen, der Finanzwirtschaft und der Staaten.

In Deutschland gibt es seit 2019 den Sustainable Finance Beirat, der die Aufgabe hat, als Multi-Stakeholder-Gremium die Bundesregierung dabei zu beraten, den Finanzmarkt nachhaltiger und resilienter aufzustellen. In diesem Zusammenhang fand Ende Januar im BMUV eine zweitägige Konferenz mit rund 120 deutschen und internationalen Vertreterinnen und Vertretern statt, die die Perspektiven aus Unternehmen, der Finanzindustrie, von NGOs und der Wissenschaft zusammengebracht haben. Es ging um letztlich um zwei Fragen: Wie kann Biodiversität zu einem investitionsentscheidenden Kriterium für die Finanzwirtschaft werden? Und wie kann die Realwirtschaft Biodiversität in Entscheidungs- und Managementprozesse glaubhaft integrieren?

Bei einigen Unternehmen ist der Impact auf die Artenvielfalt und damit auch auf das eigene Geschäftsmodell sehr klar: Überall dort, wo zum Beispiel Flächen im großen Stil versiegelt werden, wie bei Immobilien, Flughäfen oder der Automobilwirtschaft. Aber auch dort, wo eine aktive Nutzung von Naturflächen zum Geschäftsmodell gehört, ist die Abhängigkeit von einer intakten Natur sehr groß. Beispielsweise im Bereich Landwirtschaft, Ernährung, Forstwirtschaft, aber auch beim Abbau von Rohstoffen oder im Tourismus.

Dr. Simon Zadek, CEO von NatureFinance und Senior Advisor bei TNFD (Taskforce on Nature-related Financial Disclosures), macht deutlich, wie wichtig die Lösung des Hotspots Nahrungsmittel / Ernährungssystem ist. Seiner Meinung nach ist die Lösung der Frage, wie wir unsere Nahrungsmittel produzieren, zentral für die Lösung des Biodiversitätsproblems. Und wenn wir die Biodiversität nicht erhalten, verlieren wir unsere Ernährungsgrundlage.

Ein weiterer entscheidender Effekt ist, dass die Biodiversitätskrise eine globale Krise ist. Daher sollten auch Lösungen, wie u.a. Anreizsysteme oder regulatorische Vorgaben, einen weltweiten Rahmen spannen und ein Level Playing Field für global agierende Unternehmen bieten. Positiv fällt da dieser Tage ein Blick nach China auf. Laut dem Informationsdienst Responsible Investor gibt es aktuelle Pläne zur Aufnahme biodiversitätsbezogener Informationen in gesetzlich vorgeschriebene Offenlegungen von Unternehmen zu ihren Umweltkennzahlen. Zudem plant die chinesische Regierung einen Rahmen für die Offenlegung von Biodiversitätsinformationen durch Unternehmen.

Eine kontroverse Frage ist nach wie vor, ob die Natur einen Preis bekommen sollte und damit in Gewinn- und Verlustrechnungen von Unternehmen kapitalisiert werden könnte.

Die Befürworter einer Kapitalisierung gehen davon aus, dass Projekte, die die Biodiversität erhöhen, durch eine Kapitalisierung einen Business Case bekommen würden und damit messbar und abbildbar in der unternehmerischen Leistungsrechnung werden können.

Die Gegner sehen viele Gefahren, u.a. das eigentliche Unvermögen, unendliche Natur und ihre Qualitäten in Euros oder Dollars zu übersetzen.

Fakt ist sicherlich, dass Natur unsere wichtigste Infrastruktur ist, so dass auch Investitionen in ihren Erhalt auf dem Radar von institutionellen Investoren auftauchen sollten. Zurzeit sehen wir an verschiedenen Stellen die Schwierigkeit für den privaten Kapitalmarkt, solche Projekte, wie z.B. Moorwiedervernässung oder auch naturnahe Waldwirtschaft, die sich Renditekriterien entzieht, „bankabel“ zu machen.

Neben den Unternehmen und den Finanzinstituten kommt dem Staat als Gesetzgeber eine zentrale Rolle beim Schutz der Artenvielfalt und der Natur zu. Dieser Verpflichtung ist gerade die EU-Kommission in den letzten Jahren verstärkt nachgekommen, indem sie beispielsweise das Thema Biodiversität in der CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting DirectiveEU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung) und als eines der sechs Umweltziele der EU-Taxonomie („Schutz von Ökosystemen und Biodiversität“) verankert hat und es auch Bestandteil des EU-Lieferkettengesetzes ist, was sich gerade im letzten Verhandlungsstadium befindet. Darüber hinaus sind die Finanzaufsichtsbehörden, wie in Deutschland die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) dazu angehalten, zu überprüfen, ob die Finanzinstitute Klima- und Biodiversitätsrisiken adäquat in ihren Risikomanagementsystemen abgebildet haben. Diese Neuausrichtung und Integration des Themas wird mittelfristig zu einer viel höheren Relevanz in Entscheidungsstrukturen führen als es alle Appelle in der Vorzeit bewirkt haben.

Ermutigend und klar waren in diesem Zusammenhang auch drei politische Forderungen der Bundesumweltministerin Steffi Lemke auf der besagten Biodiversitätskonferenz des Sustainable Finance Beirates am 1.02.2024. Sie forderte:

  1. Klare Transitionspläne für Unternehmen der Finanz- und Realwirtschaft zu Klima- und Biodiversitätsstrategien
  2. Biodiversität in die Aufsicht von Banken integrieren
  3. Natur- und Sozialstandards in die Rechnungslegung aufnehmen, wie im Koalitionsvertrag vorgenommen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Es gibt schon jede Menge guter und valider Ansätze, verschiedenste Methoden der Datenerhebungen und der Schätzmethoden sowie erprobte Metriken und erste regulatorische Ansätze. Es gilt diese Best-Practice-Ansätze zu skalieren und weiter zu verfeinern.

Daten liegen genügend vor, so dass es vor allem darum gehen muss, sie richtig zu analysieren und klar zu haben, welchen Zweck man mit ihnen verfolgt. Integration von biologischer Vielfalt in Finanzentscheidungen ist keine abstrakte Kunst, sondern die Verantwortlichen in Unternehmen und Finanzwelt sollten sie anwenden und dem Thema die Ernsthaftigkeit in der Umsetzung entgegenbringen, der sie gebührt. Wenn das getan ist, kann man sich der nächsten Aufgabe widmen: der intensive Austausch über konkrete Investmentmöglichkeiten und darüber, welche Unternehmen Lösungen anbieten und die Biodiversität erhöhen.

Über dieses Projekt

Natur ist unser Kapital ist eine Kampagne, um den Wert unseres Kapitals Natur anhand der Aufbereitung von Fallbeispielen aus Wissenschaft und Praxis sichtbar zu machen. Intakte und funktionsfähige Ökosysteme und ihre Leistungen bilden die Existenzgrundlage unseres Lebens. Dennoch wird der Wert dieses Kapitals nicht ausreichend in öffentlichen und privaten Entscheidungen berücksichtigt.

Unsere Art und Weise des Wirtschaftens und Konsumierens führt zu einer Überlastung der Natur. Das beeinträchtigt die Bereitstellung viele ihrer Leistungen und bedroht unsere Gesundheit, Lebensqualität und unser Wohlbefinden. Die Natur ist aus ökonomischer Sicht ein notwendiger Kapitalbestand, den wir erhalten und wiederherstellen müssen.

Nicht die Natur braucht uns, sondern wir brauchen die Natur und ihre Leistungen!

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