Fallbeispiel

Bestäubung: Vielfalt der Blüte sichert Vielfalt auf dem Tisch

41% der Pflanzen in Deutschland sind abhängig von Insektenbestäubung. Vielfalt und Häufigkeit (Biomasse) bestäubender Insekten sind durch die Intensivierung der Landnutzung und Landschaftsveränderungen stark zurückgegangen. Blüten- und kleinstrukturreiche Lebensräume sind Grundlage einer nachhaltigen Ernährungssicherung und tragen zur Absicherung von Ökosystemleistungen und zur Erhaltung der Biodiversität bei (TEEB DE, 2017 c). Eine Fallstudie für Deutschland zeigt, dass zwischen 2006 und 2016 Pflanzen im Produktionswert von ca. 3,9 Milliarden Euro abhängig von Insektenbestäubung waren. Ein plötzlicher Zusammenbruch aller Bestäuber würde einen Erntekollaps mit erheblichen kurzfristigen Wohlfahrtseffekten bedeuten (Lippert et al., 2021).

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Problemstellung

Fast 80 % der heimischen Nutz- und Wildpflanzen sind auf Insektenbestäubung angewiesen. Der wirtschaftliche Wert der Produkte, die von Bestäubungsleistungen abhängen, wird im globalen Maßstab auf 235 bis 577 Mrd. US-Dollar geschätzt (IPBES, 2016). Insekten stellen damit eine wesentliche Grundlage der agrarischen Produktion und Ernährungssicherheit dar. Zu den bestäubungsabhängigen Nutzpflanzen gehören nicht nur Obstbäume und Kulturen wie die Heidelbeere, sondern auch großflächig angebaute Ackerpflanzen wie Raps, Sonnenblumen oder Ackerbohne.

Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung führt zu einem Rückgang der Kleinstrukturen und einer Abnahme der Heterogenität der Landschaften mit negativen Auswirkungen für die biologische Vielfalt (Tscharntke et al., 2005). Bestäubungsprobleme treten vor allem bei großen Monokulturflächen auf, insbesondere in Norddeutschland und bei großen Anbaugebieten mit räumlich konzentrierten Flächen (z.B. Altes Land, Bodenseeregion, sächsisches Obstbaugebiet, Anbaugebiete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz). Ein wichtiger Treiber ist auch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden (Oré Barrios et al. 2017). Ca. 560 Wildbienenarten (ca. 53 %) in Deutschland gelten inzwischen als bestandsgefährdet (Westrich et al. 2011). Auch der Bestand an Honigbienen ging zurück. 2016 gab es in Deutschland nur noch 75 % des ursprünglichen Bestands (Deutscher Imkerbund, 2017).

Maßnahme

Teilweise fehlt in der Landwirtschaft noch das Bewusstsein für die Bedeutung der Insekten- und Honigbienenbestäubung und die Bereitschaft, angemessen für Bestäubungsdienstleistungen zu bezahlen. Nur vereinzelt spritzen Landwirte keine Insektizide und kompensieren durch gezielte Bestäubungsdienstleistungen den auftretenden Ertragsverlust (Oré Barrios et al. 2017). Um den Rückgang der besonders bedeutenden wildlebenden Bestäuber aufzuhalten, braucht es vernetzte blüten- und kleinstrukturreiche Landschaften, die Nisthabitate und ein vielfältiges und kontinuierliches Nahrungsangebot bereithalten. Allerdings ist die Bereitstellung von Wildbienenlebensräumen oft mit Ertragseinbußen oder Mehrkosten für den Landwirt verknüpft, die höher sein können als der betriebswirtschaftliche Gewinn durch Bestäubung (Ghazoul 2013). Es ist daher wichtig, das Gesamtbündel der Ökosystemleistungen zu betrachten, also zusätzlich z. B. den Gewässerschutz durch Minderung von Nährstoffeinträgen oder den Erosionsschutz zu berücksichtigen.

Analyse

Für Deutschland wird geschätzt, dass 41% des Produktionswertes für ausgewählte Nahrungspflanzen in den Jahren 2006 bis 2016 (ca. 3,9 Milliarden Euro), etwa 1,6 Milliarden Euro pro Jahr, allein auf die Insektenbestäubung zurückzuführen ist. Die Nettowertschöpfung zu Marktpreisen in der Honig- und Wachsproduktion in Deutschland beträgt etwa 120 Millionen Euro pro Jahr.

Die volkswirtschaftliche Leistung der Imkerei wird auf etwa 1,6 (Lippert et al., 2021) bzw. 1,72 Milliarden Euro geschätzt (Oré Barrios et al. 2017), sofern man ausschließlich die Bestäubungsleistung im Nahrungspflanzenanbau und die Nettowertschöpfung der Honig- und Wachsproduktion berücksichtigt. Bei einem 100%igen Bestäuberausfall wären die Obstbaumkulturen im Durchschnitt am stärksten gefährdet, denn hier sind 65 Prozent des Produktionswertes auf die Insektenbestäubung zurückzuführen. Eine ähnlich hohe Gefährdung ist im Strauchbeerenanbau und Gemüseanbau zu erkennen (Oré Barrios et al. 2017).

Nicht nur Honigbienen erbringen Bestäubungsleistung; für manche Kulturpflanzen sind ausschließlich Wildbienen geeignet. Eine Studie aus Großbritannien belegt, dass Honigbienen höchstens noch ein Drittel der notwendigen Bestäubungsleistungen erbringen (Breeze et al., 2011). In einer anderen Untersuchung wurde gezeigt, dass für die Bestäubung eines Hektars Apfelbäume nur wenige hundert Weibchen der Gehörnten Mauerbiene nötig sind – im Vergleich zu mehreren zehntausend Arbeiterinnen der Honigbiene (Vicens und Bosch, 2011). Schließlich wurde nachgewiesen, dass Wildbienen und andere wildlebende Bestäuber auf Grund ihrer zu Honigbienen verschiedenen Verhaltensweisen, Ressourcennutzungen und Aktivitätszeiten die Erträge bestäubter Pflanzen auf ein höheres Niveau heben – unabhängig vom Vorkommen und der Häufigkeit der Honigbiene (Garibaldi et al., 2013).

Eigene Abbildung nach Deutscher Imkerbund e.V. (2017) mit Daten des Länderinstituts für Bienenkunde Hohen Neuendorf e.V.

Fazit

Bestäuber haben eine große Bedeutung für die agrarische Produktion und Ernährungssicherheit sowie für die Erhaltung der biologischen Vielfalt durch die Bestäubung von Wildpflanzen. Der Wert der Bestäubungsleistung sollte stärker in der Landwirtschaft integriert werden und die Bereitstellung entsprechender Lebensräume sollte gefördert werden. Die bislang etablierten Agrarumweltprogramme sind nicht ausreichend, um die Populationen wildlebender Bestäuber zu schützen (Wood et al. 2015). Die Einrichtung maßgeschneiderter, bestäuberfördernder Blühflächen sollte eine weitere Priorität sein.

Referenzen

Breeze, T. D. et al. (2011): Pollination services in the UK: How important are honeybees? Agriculture, Ecosystems & Environment 142: 137 – 143.

Garibaldi, L. A. et al. (2013): Wild Pollinators Enhance Fruit Set of Crops Regardless of Honey Bee Abundance. Science 339: 1608 – 1611.

Ghazoul, J. (2013): Pollination Decline in Context. Science 340: 923 – 924.

IPBES (2016): Summary for policymakers of the assessment report of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services on pollinators, pollination and food production. Bonn.

Leonhardt, S. D. et al. (2013): Economic gain, stability of pollination and bee diversity decrease from southern to northern Europe. Basic and Applied Ecology 14, 461 – 471.

Lippert, Christian, Arndt Feuerbacher, and Manuel Narjes (2021). „Revisiting the economic valuation of agricultural losses due to large-scale changes in pollinator populations.“ Ecological Economics 180: 106860.

Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2016): Ökosystemleistungen in ländlichen Räumen – Grundlage für menschliches Wohlergehen und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. von Haaren, C., Albert, C. (Hrsg.). Hannover, Leipzig.

Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2017): Fallbeispiel Bestäubung. In: Naturkapital Deutschland – TEEB DE: Neue Handlungsoptionen ergreifen – Eine Synthese. Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Leipzig.

Ollerton, J. et al. (2011): How many flowering plants are pollinated by animals? Oikos 120, 321 – 326.

Oré Barrios, C., Mäurer, E., Lippert, C., Dabbert, S., 2017. Eine Ökonomische Analyse des

Imkerei-Sektors in Deutschland: An Economic Analysis of the Beekeeping Sector in

Germany. Schlussbericht, Stuttgart-Hohenheim, Germany.

Tscharntke, T. et al. (2005): Landscape perspectives on agricultural intensification and biodiversity – ecosystem service management. Ecology Letters 8, 857 – 874.

Vicens, N., Bosch, J. (2000): Pollinating Efficacy of Osmia cornuta and Apis mellifera (Hymenoptera: Megachilidae, Apidae) on ›Red Delicious‹ Apple. Environmental Entomology 29, 235 – 240.

Westrich, P. et al. (2011): Rote Liste und Gesamtartenliste der Bienen (Hymenoptera, Apidae) Deutschlands. In: Binot-Hafke, M. et al. (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands. Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1). Münster.

Wood, T. J. et al. (2015): Pollinator-friendly management does not increase the diversity of farmland bees and wasps. Biological Conservation 187: 120 – 126.

Über dieses Projekt

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